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Kulissenparfum

By Mainpoetin @Mainpoetin · On 8. November 2019

Gebäude duften. Ihre Mauern verströmen, wer sie gebaut hat, aus welchen Gründen und was bishermit ihnen geschah.

Das ist in Computerspielen nicht anders. Und doch gibt es Unterschiedezwischen Häusern aus Porenbeton und solchen aus Polygonen. Ein paar Gedanken zur (virtuellen) Architektur in Games.
Dieser Text ist in der WASD 15 erschienen. Mehr Infos? Hier.

Gemälde sind die Augen der Kunst, Musik ihre Ohren, Architektur ihre Nase.
Warum? Weil Gebäude wie Gerüche sind.
Räume und Strukturen umgeben uns, wir leben in ihnen, sie lenken uns, meist unbewusst. In die Wahrnehmung gerückt werden sie nur, wenn sie uns irritieren oder uns besonders gut gefallen. Brutalismus stinkt, Barock duftet. Doch es geht nicht darum, was Bauten mit uns machen. Es geht darum, was wir mit ihnen machen.

Brutalismus stinkt

Denn sie erfüllen stets eine bestimmte Funktion. Eine Kirche dient dazu, dem Glauben zu huldigen. Ein Haus dazu, seine Bewohner zu schützen. Doch, das sagte schon Hermann Muthesius 1908: Gebäude können Kunst sein, sobald sie übers bloße Bedürfnisbefriedigen hinauswachsen. Auch im klassischen Verständnis der „De Architectura“ von Vitruv, die vor über 2000 Jahren erschien, beruht Bauen nicht nur auf Nützlichkeit, sondern auch auf Stabilität und Schönheit. Diese drei Säulen gelten noch heute. Neben Funktion und Material geht es also um Ästhetik, um die Form, die bei Architektur jedoch Sklave des Nutzen ist.

Denn im Stadt- wie im Landraum gibt es keine baulichen Strukturen, die nicht in allererster Linie funktionieren. Das wird schon durch den Faktor Platz bedingt: Unsere Welt ist schlicht zu eng, um sie mit Zwecklosem zu füllen. Ist ein Gebäude ohne Funktion, dann bloß, weil es eben noch keine erfüllt (Baustelle) oder es nicht mehr tut (Ruine). Das ist in Computerspielen anders. Ganz anders.

Geruch des Abenteuers

Zum einen ist Architektur dort ungleich freier. Sie muss nicht der Physik gehorchen und sie hat Platz. Meist hält sie sich trotzdem an gewisse Regeln, damit sie sich Spielern nicht umständlich erklären muss, sondern diese sie in Anlehnung an reale Strukturen begreifen und sich in ihr intuitiv zurechtfinden. Dann können Designer nämlich ihrer eigentlichen Arbeit walten: Bekanntes mit dem Odeur des Unbekannten, mit dem Geruch des Abenteuer füllen.

Denn hängt die Funktion von Architektur im Alltag stets mit der Aufgabe zusammen, dem Menschen zu dienen, dient sie im Computerspiel vor allem der Mechanik, also dem Gameplay. Bauten können auf verschiedene Art spielerisch inszeniert sein: als Ort des Geheimnisses etwa, als Versteck für Artefakte und Figuren, als Hindernis, Skilltest oder Labyrinth.

Dazu kommt, dass Gamedesign in den meisten Fällen nichts dem Zufall überlässt. Alles ist kuratiert. Im Alltag hingegen bricht in bewusst Erzeugtes mitunter der Zufall ein, etwa in Form von Pflanzen. Bäumen, Schimmel. Gamedesigner hingegen haben die Freiheit und die Verantwortung, Architektur zu schaffen, die schnöde Mechanik in schöne Metaphern packt. Also nicht: Ziele mit dem Cursor auf einen Punkt X. Sondern: Lösche das Ungetüm aus, dass in diesem fiesen Kerker haust!

Für solches Vorgehen brauchen virtuelle Spiele bauliche Strukturen, in denen das Gameplay duftet. Aber sie brauchen auch, und das unterscheidet sie grundlegend vom Alltag, Kulissen. Im Grunde sind Games also halb-reale Wunderorte, so wie Freizeitparks. In manche Gebäude gehst du, um eine Menge Spaß zu haben. Die anderen bleiben Kulisse, kleiden deine Erfahrung in eine möglichst spektakuläre Erzählung. Westernstadt? Brauchst du eigentlich nicht, um die Achterbahn grandios zu finden. Aber als Cowboy kreischt es sich gleich doppelt so gern.

Schönheit der Kulisse

Diese Kulissen entsprechen in Games all jenen Gebäuden, die uns (nicht nur) in Open-World-Titeln die Grenzen der vermeintlichen Offenheit aufzeigen. All die Shops, in denen wir in GTA nicht einkaufen können. All die schnuckeligen Hütten, die in Zelda abgeschlossen sind, all die Tanker-Teile in Metal Gear Solid 2, deren Zugangstreppen von riesigen Kisten versperrt werden. Sie dienen weder einem menschlichen Bedürfnis, noch dem Gameplay. Sie dienen der Narration.

Ja, auch Alltagsgebäude erzählen Geschichten. Davon, wer sie gebaut hat, davon, was in ihnen passiert und auch davon, aus welcher Zeit sie stammen. Doch das alles steht hinter ihrer Nützlichkeit zurück. Im Game nicht. Im Game gibt es sie: Architektur ohne Funktion. Narrative Architektur, eine Architektur, die sich am Zwecklosen berauscht. Eine Architektur der Attrappe.

Der Raum, den diese Architektur einnimmt, wächst mit der Größe der erzählten Welt. Das hat schonallein praktische Gründe: Hätte Rockstar jedes Gebäude von Liberty City mit Leben gefüllt, würdensie heute noch am ersten Teil programmieren – und die Rechenleistung jeder gängigen Konsole oder jedes Computers in die Knie zwingen. Zudem würde eine derart wuchernde Struktur die Aufmerksamkeitsspanne des Spielers überfordern. Titel wie Read Dead Redemption 2 laufen ja jetzt schon Gefahr, den Gamer mit zu viel Freiheit zu in den narrativen Stillstand zu treiben.

Architektur der Attrappe

In Computerspielen also, die nur ein Gebäude oder sogar nur einen Raum für ihr Gameplay nutzen, ist die Zahl der Attrappen-Architektur gering. Da ist sie weniger Geruch, wir nehmen sie bewusst als Teil der Mechanik war. In Titeln aber, die Städte oder ganze Welten erzählen, findet sie sich überall. Ihr Duft umschwebt und durchdringt San Andreas wie Hyrule, Final-Fantasy-Städte wie World-of-Warcraft-Gebilde.

Architekten sind die Parfümeure unserer täglichen Umgebung. Aber was sagt eigentlich ein Expertezu Gebäuden in Games? Wir haben Architekturhistoriker Felix Torkar gefragt, was er von einigen ausgewählten virtuellen Städten hält.

Was ein Profi sagt

Zum einen von solchen, die ihren Weg von der realen Welt in die virtuelle gefunden haben. Zum anderen von solchen, die sich Gamedesigner eigens erdacht haben. Gebäude erzählen auch immer von der Zeit, in der sie entstanden sind. Daher haben wir jeweils eine historische und eine Stadt der Zukunft als Beispiel gewählt. Und eine, in der genau das passiert, was wir weiter oben als Eindringen des Zufalls ins Immer-Kuratierte genannt haben. Das sagt Torkar dazu:

Real existierend, in Games umgesetzt

Vergangenheit: Florenz (Assassin’s Creed II)

Das zum Leben erweckte Florenz von 1476 durchschreiten zu können, lässt Kunsthistorikerherzen höher schlagen. Dank enormer Bewegungsfreiheit kommt die Simulation bemerkenswert glaubwürdig daher. Und doch übertrifft sie manchmal die Realität. Etwa, wenn Kathedralenfassadenerklommen werden können. Die größte Kunst der Stadtnachbildung in Spielen ist es, das reale Gefüge auf eine handhabbare Größe einzudampfen und die Straßenatmosphäre zu erhalten. Ebenfalls wichtig: Die Bauwerke mit dem höchsten Wiedererkennungswert einzubinden, ohne, dasssie alle direkt nebeneinander stehen müssen. Gleichwohl muss zugunsten der Spielbarkeit bei aller historische Detailtreue geschummelt werden. Um das Gameplay zu beschleunigen, sind die bekanntesten Bauwerke bei AC in reduziertem Maßstab nachgebildet. Und das berühmte Baptisterium fehlt sogar komplett.

Zukunft: Detroit (Detroit: Become Human)

Die Substanz einer Stadt verändert sich für gewöhnlich trotz der gefühlten Beschleunigung der Lebenswelt nur langsam. So wird Detroit 2038 immer noch zum Großteil aus der heute schon existenten Baumasse und Infrastruktur bestehen. Die Zukunft wird – wie gemeinhin üblich – vor allem durch fiktive Wolkenkratzer verbildlicht. Schneller als das Stadtgefüge verändern sich Fahrzeuge, Interieurs und Grafikdesign. Leuchtende Fahrbahnmarkierungen, autonome Autos, Drohnen, Luftschiffe und jede Menge Displays signalisieren dem Spieler: Wir sind in einer vertrauten Umgebung und doch in der Zukunft. Detroits Vororte sind im Gegensatz dazu Boten des Verfalls. Nachdem Mitte des 20. Jahrhunderts Stadtzentren nachts wie ausgestorben waren, weil Wohlhabende eher in die Vororte zogen, kehrte sich die Migrationsbewegung gegen Ende des Jahrhunderts um. Die Unterschicht wanderte in die Peripherie. Reichlich dystopisch ändert sich daran auch in der Welt von Detroit: Become Human nichts.

Dazwischen: Pittsburgh (The Last Of Us)

Die Städte von heute sind die Ruinen von morgen. Ob bei Filmen wie Logan’s Run (1976) oder I Am Legend (2007), die Frage, wie die Natur eine Stadt zurückerobert, wird bildgewaltig behandelt. In The Last Of Us hat es Pittsburgh erwischt. Wie so oft wird Architektur im Spiel zum Klettergarten, Straßenschluchten werden zu Kanälen, Pittsburgh verwandelt sich in Venedig. Die Stadt war über ein Jahrhundert bis zur Krise in den 1970ern wichtigster Stahlproduzent der USA. Backsteinfassaden, Beaux-Art-Schnörkel, Hochhausarchitektur des frühen 20. Jahrhunderts, Nachkriegsmoderne, Brutalismus –das Großstadtgewirr aus Stilen und Perioden ist glaubhaft nachempfunden. Die schaurige und zugleich wehmütige Ruinen-Faszination zieht sich spätestens seit der Romantik des ausgehenden 18. Jahrhunderts durch die europäische Kunst. In der Moderne lieferten Ruinen sogar Impulse in der Architekturtheorie. Louis Kahn etwa entwarf seine Bauten als “ruins in reverse” im Hinblick darauf, wie sie als Bruchwerk in 1000 Jahren aussehen könnten.

Fiktive, für Games entworfene

Vergangenheit: Weißlauf (Skyrim)

Die Fantasy-Architektur von Weißlauf ist eine sehr konkrete Nachbildung der Holzbauweise der Wikinger und des spätmittelalterlichen Skandinaviens. So folgen die Drachenfeste und der Tempel von Kynareth mit Pult- und Giebeldächern dem im 12. Jahrhundert aufkommenden Archetyp der Stabkirche, bei der die Dachkonstruktion an mastähnlichen Holzstützen aufgehängt ist. Das weitaus ältere, klassische nordische Langhaus wird mit der Methalle Jorrvaskr barockisiert. Es verwundert allerdings, dass die betonte Dachform eines umgekehrten Schiffsrumpfes die Verbundenheit zur Nautik nahelegt, denn Weißlauf liegt im Landesinneren. Wo die Geschichtsbücher keine Vorlage bieten, tritt die Imagination der Gestalter mit Kolossalstatuen und Steinbefestigungsringen in den Vordergrund.

Zukunft: The City (Mirror’s Edge)

An dieser namenlosen Stadt hätte der schweizerisch-französische Architekt Le Corbusier in den 1920er Jahren seine Freude gehabt. Die Vorhangfassaden bilden eine homogene Masse, die keine Baugeschichte, kein Zeitgeschehen kennt und so eine abstrahierte, gesichtslose Retortenstadt formt. Die Hochhauswelt wird im Spiel über Dächer und nicht über Straßen durchschritten – eine radikal neue Raumerfahrung. Anders als die meisten Dystopien ist das Wolkenkratzermeer von The City blitzblank und zugleich geisterhaft. The City ist hyperreal, eine Vorlage ist unidentifizierbar geworden. Stofflichkeit wird zum Verschwinden gebracht – eine der großen Utopien der klassischenModerne. Paradoxerweise gewinnen die Bauwerke durch das beharrliche Beklettern eine ganz neue Gegenständlichkeit.

Dazwischen: Rapture (BioShock)

Rapture schwelgt im Art Deco, dem Futurismus und der Stromlinienmoderne der 1930er Jahre, jedoch als schaurig-schöne, reichlich abgekämpfte Atlantis-Utopie. Bereits die Eingangsszene zitiert Stadt-Aufnahmen aus Fritz Langs Metropolis und reiht sich in die Ahnenreihe von Filmen wie „Blade Runner“ ein. Doch Rapture besitzt keine Straßenebene. Stattdessen verschwimmen die architektonischen Regeln der Tektonik nach unten im Dunst und die Bauten hängen ohne Sockel oder Haupteingänge in der Luft (beziehungsweise im Wasser). Mangels Sonnenlicht sind die konventionell durchfensterten Fassaden wenig zweckmäßig und von den (fiktiven wie realen) Entwerfern etwas kurz gedacht. In seiner Funktion als immersive Welt ist die Kreation jedoch so glaubhaft, dass der Spieler im Wechselbad von Science Fiction, Nostalgie und Grusel ganz darin versinken kann

Über den Experten

Felix Torkar ist 32, Architekturhistoriker, freier Kurator und Fotograf in Berlin. Seine Arbeit umfasst das Projekt „SOS Brutalismus“ des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt und der Wüstenrotstiftung sowie die Deutschen Beiträge auf der Architekturbiennale Venedig 2016 und 2018.

ArchitekturAssassins CreedBioshockComputerspieleDetroit: Become HumanGamesSkyrimThe Last of UsVideospiele
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Mainpoetin

Journalist. Fan. Auf der Suche nach den richtigen Worten.

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