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Scherbensammler

By Mainpoetin @Mainpoetin · On 18. März 2019

State Of Mind hat das Thema der Stunde erkannt:
künstliche Intelligenz, Transhumanismus und die Frage nach der Menschlichkeit.

Daedelics Adventure streift quer durch Theorien, Dystopien und Utopien einer zersplitterten Zukunft.
Protagonist Richard Nolan stellt eine Menge Fragen. Und findet kaum eine Antwort. Nur die eine: Das Ich hat sich abgeschafft. (Achtung: Dieser Text enthält Spoiler. Er ist in der WASD14 erschienen. Solltet ihr – Schande – das Magazin noch nicht kennen: hier gibt’s Infos)

Mein Name ist Richard Nolan.
Mein Arzt hat mir geraten, ich solle darüber reden.
Sie kennen mich. Vor elf Jahren, 2037, habe ich den Pulitzer Preis bekommen. Für meine Recherche zum „Dronegate“-Skandal.
Richard Nolan, Roboterhasser, haben mich manche genannt. Und nun? Nun ist alles anders.
Ein Bot hat mein Leben gerettet.
Meine Frau ist Datenmüll.
Mein Sohn eine Super-KI.
Und ich?
Ich bin immer noch Journalist und schreibe über die Dinge, über die ich nicht reden kann.

Wissen Sie, in den vergangenen Tagen habe ich nachgedacht. Wer wir sind. Wer ich bin.
Was uns zu Menschen macht und wann wir endlich damit aufhören.
Unsere Zeit erscheint mir als Epoche der Derealisation. Wir wandeln ohne Boden. Alles, an was wir geglaubt haben, die Regeln, die Gesellschaft, der Schöpfer, das Gute, all das hat sich überlebt.
Gott ist tot. Wir sind Gott. Die anderen, die sind Gott.
Ich habe so viel gegrübelt, dass mein Kopf davon überzuschwappen droht. Ich sickere gewissermaßen über meine Ränder. Ich kann keine Antworten finden. Nur Fragen.

Die Wahrheit

Mein „Dronegate“-Kollege Walter hat einmal gesagt, er glaubt, dass es im Kern unseres Daseins um die Wahrheit geht.
Walter, das Genie, das nun buckelig unter seinem Schreibtisch hockt, Verschwörungstheorien frisst und sie auf Druckerpapier kotzt. Als ich noch naiver Reporter war und versucht habe, die Abgründe, die wir in die Welt gerissen haben, mit Worten zu überqueren, dachte ich, er kennt jede Antwort. Jetzt weiß ich es besser.
Es gibt keine Wahrheit.
Es gibt nur Momente, in denen uns etwas als wahr erscheint. So kurz wie der Flügelschlag einer Motte vor einer Glühbirne. Hell. Dunkel. Wahr. Lüge. Eins. Null.
Ich glaube mittlerweile, dass wir im Kern unseres Daseins Sammler sind, die ihr Leben lang versuchen, sich selbst zusammenzufügen.

Eine Antwort habe ich für Sie. Auch diese stammt von Walter. Das Zusammenfügen wird uns nicht gelingen. Wir sind zu gut darin, die Lücken wegzulügen, die zwischen unseren Fragmenten laufen. Ich bin da keine Ausnahme.
Denn ich war mir sicher, ganz zu sein.
Perfekte Familie, perfekter Job. Nun raten Sie mal?

Nichts davon war wahr.

Wir flattern

Lassen Sie es mich so erklären: An der Schwelle zum 21. Jahrhundert hat ein sehr kluger Mann mit dem Phantasma aufgeräumt, dass wir jemals wissen könnten, wer wir sind.
Der Sozialpsychologe Heiner Kneupp stellte die These auf, dass unsere Identität kein Perserteppich ist.
Nein, unsere Identität ist Patchwork.
Wir leben in Flicken und wenn wir Glück haben, können wir uns mühevoll mit irgendeiner Art von Garn zusammennähen. Wenn wir Pech haben, gelingt uns nicht mal das.
Hören Sie: Uns ist schon vor einer Weile der Faden ausgegangen.
Wir flattern.
Das ist die Wahrheit.

Die Vorstellung, wir bestünden aus Fetzen, die gefällt mir. Ich würde sogar einen Schritt weitergehen. Ich würde sagen: Wir sind Scherben.
Unsere Welt ist Scherben.
Unsere Zeit ist Scherben.
Wir stolpern darin herum und sammeln und wir schneiden uns und verbluten. Mit unseren Narbenhänden halten wir nichts fest.
Krieg tobt in Berlin, zertrümmert Scheiben und dazwischen kriechen Nutten in einer Mischung aus Pisse und Parfum. Sehen Sie uns doch an: Aufgrund des Handelsembargos drucken wir unser Essen, wir überlassen unsere Kinder der Erziehungsweisheit von Robotern, die nie Eltern hatten. Wir gehorchen Polizeibots, die so aussehen, als hätte jemand Nummer Fünf eine Uzi an die Krallen geschraubt.Wir gaukeln uns vor, noch irgendetwas kontrollieren zu können.
Aber was wir tun, ist willkürlich. Wir schlurfen von A nach B, strengen gelegentlich unser Gehirn an und sind doch chronisch unterfordert.
Entscheiden? Können wir nicht mehr. Das tun andere für uns, die Maschinen – und diejenigen, die sie gebaut haben. Spaß macht das nicht. Wir laufen und laufen, wir sind Lüge, die anderen die Wahrheit. Wir tragen die Gefängniskluft unseres eigenen Fortschritts. Wir haben viel zu spät bemerkt, dass es keinen Ausweg gibt.

Wir sind viele

Ja, Sie haben richtig gelesen. Es gibt keinen. Die Marskolonie zur Rettung der Reichen war eine Lüge.
Da haben Sie es.
Ein neuer Skandal für die Titelseite, diesmal pokere ich auf keinen Pulitzer, glauben Sie mir.
Mir geht es um, ha!, mir geht es um die Wahrheit.
Die Köpfe des Unternehmens Kurtz-Labs haben uns in der Kitteltasche. Was sie uns bieten, ist keine Flucht woandershin, sondern ein Dasein als digitaler Stempel. Sie wollen uns hochladen und mit unseren Abziehbildern, unseren Avataren, eine bessere Welt bevölkern. Eine Welt, in der Vögel immer zwitschern, alle Menschen freundlich sind und in der die Sonne gegen Glasscheiben flirrt, ohne sie kaputtzustechen.

Kurtz sagt, der Mensch sei etwas, was überwunden werden muss. Und dass es für diesen neuen, diesen Übermenschen, in unserer Welt keinen Ort mehr gibt. Vermutlich stimmt das sogar.
Wir haben es fertig gebracht, unsere Heimat in Trümmer zu leben. Nun will Kurtz uns eine neue bauen. Die Grundlage für City5, wie sie diese Simulation nennen, haben wir ihnen selbst geliefert. Unsere Daten. Kurtz hat aus ihnen ein Spiegelbild kreiert. Aus allem, was wir waren, was unsere Welt war.
Aber kann es ein Spiegelbild von etwas geben, was schon lange nicht mehr existiert?
Ich schwappe. Ich flattere. Mein Kopf tut weh.
Für Kurtz, das steht fest, gibt es uns zweimal. Nein. Hundertmal. Wir haben einen Körper aus Fleisch und einen aus Code. Wir haben uns multipliziert. Woher ich das weiß? Nun, ich habe es getroffen, mein anderes Ich.

Der Tod

Sein Name ist Adam. Absurderweise konnten wir einfach in Kontakt treten, als wäre er ein Mensch und ich ein Mensch. Gemeinsam haben wir versucht zu entschlüsseln, was Kurtz vorhat. In beiden Welten haben wir Datenfragmente gesammelt und in stupider Puzzlearbeit getauscht. Wir haben durch die Augen von anderen gesehen, von Robotern, von Kindern und Dealern, in die Zukunft, in die Vergangenheit, bis sich aus den Flicken ein konfuses Bild formte, das uns die ganze Schweinerei offenbarte.
Wir, diese Patchwork-Wesen, haben aus Patchwork-Geschichten einen Spiegel gebaut. Jedes Detail an den richtigen Platz gesetzt, das konnten wir nicht. Vielleicht war das auch gar nicht nötig. Wir haben genug gesehen, um uns darin zu erkennen. Uns und die, die wir glaubten, einmal geliebt zu haben. Die meisten davon sind tot.
Tot?
Gelöscht.
Vielleicht war das schon immer das bessere Wort.

Lydia, meine Geliebte. Ein im Labor gezüchteter Selbstbedienungsladen für Organe, der darauf programmiert war, sich nach Ablauf deiner Frist zu zerstören. Du bist vorbei.
Meine Frau, die beim Hochladen in City5 den falschen Körper erwischte und aufgrund dieses Fehlers in Datenpakete zerfallen ist. Einfach so. Als wäre auch der Mensch bloß eine Maschine.
Mein Sohn, eben kein Mensch, sondern ganz Maschine. Eine Super-KI zur Kontrolle von City5.
Simon, der Bot, der mein Leben rettete und Angst vor dem Abgeschaltetwerden hat.
Vielleicht ist das alles, was uns ausmacht, dass wir das Löschen fürchten.
Der Mensch hasst den Tod, weil er sich nicht simulieren lässt. Er ist immer endgültig.

Ich musste Entscheidungen treffen. Viel geändert haben sie vermutlich nicht. Aber sie haben mir geholfen, der Antwort auf meine wichtigste Frage etwas näher zu kommen.
Denn im Grunde ist alles, jeder Schritt, jedes Sammeln, jeder Versuch eines Zusammensetzens auf eines hinausgelaufen. Was unterscheidet eine perfekte Simulation des echten Lebens und das echte Leben an sich und gibt es beides überhaupt? Existieren wir?
Existieren wir über unseren Körper hinaus?
Und was davon ist wahr?
Ich werde das Gefühl nicht los, dass auch ich bloß simuliere, dass ich eine Lüge bin.
Aber wer hat mich erzählt?
Und welche Wahrheit wollte er oder sie vertuschen?
Wer steuert mich?
Wer ist mein Richard Nolan, wenn ich euer Adam bin?
Wer ist mein Gott?
Und wer dessen Schöpfer?
Ein schlechterer?
Ein besserer?
Wie ich schon sagte, es gibt kein Richtig, vielleicht noch nicht mal ein Falsch.
Wir fühlen, also sind wir. Das ist zu einfach.
Wir denken, also sind wir. Das ist längst vorbei.
Vielleicht gilt am Ende doch die einfachste aller Antworten. Wir sind.

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Mainpoetin

Journalist. Fan. Auf der Suche nach den richtigen Worten.

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